Bolkestein haalt hard uit naar Duitse inflexibiliteit (du)

maandag 20 september 2004, 11:32


Frits Bolkestein

Mitglied der Europäischen Kommission verantwortlich für Binnenmarkt und Steuern




"Marktwirtschaft, Wettbewerb und zukünftige Integration der Europäischen Union"

Kongress der Industrie und Handelskammer
Düsseldorf, den 20. September 2004

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf mich ganz herzlich bei der IHK Düsseldorf und dem Europaabgeordneten Klaus-Heiner Lehne für die freundliche Einladung zu Ihrer Jahrestagung bedanken.

Mit dem Kongress unter dem Titel ,von welchen Visionen lassen sich Wirtschaft und Politik leiten" stellen Sie die entscheidende Frage nach dem Grundkonzept der Wirtschaftspolitik.

Hierzu hat vor kurzem der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel eine Rede mit dem Titel ,Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik - Deutschland am Scheideweg" gehalten. In dieser hat er zu recht auf die durch die Globalisierung erzwungene ständige Anpassung der wirtschaftspolitischen Ausrichtung hingewiesen. Dabei legte er immer wieder Wert auf die Feststellung, dass sich Marktwirtschaft und Wettbewerb gegenseitig befruchten.

Lassen Sie mich daher aus meiner Sicht und der Erfahrung der vergangenen 5 Jahre als EU Binnenmarktkommissar die Frage beantworten, ob die wirtschaftspolitischen Grundpfeiler - Marktwirtschaft und Wettbewerb - ausreichend berücksichtigt wurden.

Was heißt Marktwirtschaft? Grundlagen des von Ludwig Erhard entwickelten Modells waren Wirtschaftskraft durch möglichst viel Wettbewerb. Die Rolle des Staates sollte begrenzt werden auf die Setzung des dafür notwendigen Rechtsrahmens, damit fairer Wettbewerb stattfinden kann.

Durch die so entstehenden Freiräume, und nicht mittels erzwungener, das heißt staatlich verordneter Umverteilung, die hier zulande bereits durchschnittlich 25% jedes Arbeitnehmereinkommens ausmacht, sollte sichergestellt werden, dass das notwendige Maß an sozialer Sicherheit leistbar und damit auch bezahlbar ist.

Völlig unzweifelhaft ist Deutschland eine Marktwirtschaft. Man kann sie getrost auch soziale Marktwirtschaft nennen. Aber das tatsächliche Funktionieren des Wirtschaftslebens ist von einer hausgemachten Überregulierung, Inflexibilität, mangelndem Unternehmertum, wenig Risikobereitschaft und einer generellen Versorgungsmentalität gekennzeichnet. Dasselbe gilt im Übrigen ebenso für die Niederlande. Deshalb tut man sich mit wirklichen Reformen auch so schwer. Wir haben doch längst das notwendige Maß an sozialer Sicherheit durch einen Vollversorgungsanspruch ersetzt und wundern uns, dass bei fortschreitender Verflechtung der nationalen Wirtschaftsräume und Alterung der Gesellschaft die Sozialsysteme zu bersten drohen.

Brauchen wir in der aktuellen Situation den Binnenmarkt für die eingangs genannte Balance zwischen Wettbewerb und Marktwirtschaft auf der einen Seite und Regulierung sowie sozialem Ausgleich auf der anderen? Oder ist der Binnenmarkt, wie einige es heute gerne sehen, bereits ein Thema, welches man ad acta legen kann? Ja, ist er vielleicht sogar hinderlich, wenn man einigen wenigen glauben darf?

Erlauben Sie mir, kurz eine Bilanz zu ziehen, was ich versucht habe, in den vergangenen 5 Jahren zu erreichen?

    1. Finanzdienstleistungen

Oberstes Ziel war die Schaffung eines gemeinsamen Finanzmarktes. Da globale Situationen global orientierte Lösungen verlangen, war und ist es wichtig, die grenzüberschreitende Versorgung mit Finanzmitteln sowie eine möglichst einheitliche Bewertung von Unternehmensergebnissen auch von Mittelständlern, zu erreichen. Der hierzu aufgestellte Finanzaktionsplan wurde erfolgreich abgearbeitet, aber nun muss er mit Leben gefüllt werden. Die Finanzmärkte passen sich bereits den veränderten Bedingungen an. Viele Unternehmen erkennen die daraus erwachsenden Chancen. Aber der Prozess des Umdenkens ist damit noch nicht abgeschlossen.

Basel II, also die Neufassung der Eigenkapitalvorschriften und Risikobewertung für Finanzinstitute, ist innerhalb des Aktionsplans ein ganz entscheidender Baustein. Ich bedauere sehr, dass im Vorgriff auf Basel II einige Kreditinstitute besonders in Deutschland die Versorgung mit Fremdkapital offensichtlich verschlechtert haben, denn die neue Kultur einer möglichst objektiven Risikobewertung von Krediten ist zu begrüßen. Basel II im jetzt vorliegenden Ergebnis kann nicht ernsthaft als mittelstandsfeindlich bezeichnet werden. Ich würde mir sehr wünschen, wenn mit Basel II auch in Deutschland ein Umdenken, weg von Kreditfinanzierung hin zu mehr Anlagekapital und einer deutlicheren Betonung von Eigenkapitalaufbau einsetzen würde.

Ein weiterer Pfeiler des Aktionsplans ist ,corporate governance", ein Thema nicht nur für Großunternehmen. Viele Überlegungen stehen noch am Anfang, aber man kann festhalten, dass neben den allenthalben bekannten Skandalen, die auch Europa hinreichend erfasst haben, die Hauptpunkte, nämlich 1. Transparenz,
2. Stärkung des Einflusses der Anteilseigner und 3. Verantwortlichkeit von Vorständen und Aufsichtsräten grundsätzlich begrüßt werden. Interessanterweise hat sich die deutsche Diskussion um Offenlegungspflichten nach dem Urteil im so genannten Mannesmann Prozess durchaus verändert, was ich ausdrücklich begrüße.

Letztlich haben wir bei der Ausrichtung der europäischen Finanzmärkte die internationale Verflechtung nicht vergessen. Deshalb war das Verhältnis zu den USA von schwierigen aber durchaus erfolgreichen Verhandlungen gekennzeichnet. Bei allen Themen, angefangen von Sarbanes-Oxley bis hin zu IAS, hat sich dabei die Maxime der Reziprozität als eine funktionierende Methode erwiesen.

    2. Investitionshindernisse

Ein zweites wichtiges Ziel meiner Arbeit, meine Damen und Herren, war der Abbau von Investitionshindernissen. Dabei habe ich konsequent die besonderen Rechte, die sich Staaten in Form von so genannten goldenen Aktien (,golden shares") zur Beeinflussung von privaten Unternehmen gesichert haben, immer da angegriffen, wo diese dem durch den Gerichtshof gesetzten engen Rahmen nicht entsprachen. Zu keiner Zeit gab es hierbei eine besondere Behandlung in Bezug auf Deutschland. Im Gegenteil, wir haben Deutschland mehr als anderen Ländern viel Zeit zugestanden, zu demonstrieren, warum aus deutscher Sicht solche Sonderrechte möglicherweise gerechtfertigt sind. Hinweise auf historische Gründe können allerdings schlechterdings als juristisch haltbare Rechtfertigung dienen.

Deswegen habe ich die Liberalisierung vorangetrieben, wo sie sinnvoll und nötig war. Dabei wurde weder das Thema Gemeinwohlverpflichtung aus dem Auge verloren noch der Daseinsvorsorge eine Absage erteilt. Ich sage ganz deutlich, dass auch aus meiner Sicht weiterhin die Daseinsvorsorge ihre Berechtigung hat, aber sie kann nicht unbegrenzt gelten, wenn sich der Staat vernünftigerweise zunehmend von Aufgabengebieten trennt, im besten Sinne, weg von einer Vollversorgung, die niemand mehr finanzieren kann, hin zu mehr Eigenverantwortung und unternehmerischem Engagement.

In gleichem Sinne hat die EU die vielfältigen Lösungsansätze der Regierungen Europas im Rentenbereich unterstützt und das grenzüberschreitende Angebot von betrieblichen Alterversorgungssystemen erleichtert. Die Kostenersparnisse, die letztlich den Bürgern zugute kommen, sind enorm.

    3. Dienstleistungen

Den dritten Bereich meiner Tätigkeit konnte ich nur beginnen. Wir alle sind uns einig, dass der Dienstleistungsmarkt als Motor der Wirtschaft gilt. Dennoch ist es der Bereich der 4 Grundfreiheiten, der am wenigsten an die modernen Herausforderungen einer global organisierten Wirtschaft angepasst ist. Mit dem kürzlich vorgelegten Vorschlag zur Dienstleistungsfreiheit will ich dem Grundprinzip der gegenseitigen Anerkennung auch für Dienstleistungen zum Durchbruch verhelfen. Dazu bedarf es einer wesentlich verbesserten Kooperation der Behörden über Ländergrenzen hinweg. Ich akzeptiere, dass dieser Vorschlag viel Beratungsbedarf erzeugt hat, der Teufel im Detail steckt und die Kontrolle, dass es fair funktionieren wird, nicht in jedem Fall von vorne herein evident ist. Ich bin daher offen für eine ehrliche Diskussion, aber ich sage auch, dass Polemik nicht hilft. Dass mein Gesicht auf der kommunistischen Zeitschrift ,L'humanité" in diesem Zusammenhang erschien erheitert mich allerdings eher.

Erlauben Sie deshalb die ketzerische Frage, ob in das Konzept einer europäischen Marktwirtschaft in Form des Binnenmarktes das noch gültige, wenn auch angepasste Konzept der Abschottung von Handwerksberufen durch den Meisterbrief tatsächlich noch zeitgerecht ist.

    4. Bilanz

Ich komme nach dieser kurzen Bilanz auf die eingangs gestellte Frage zurück, ob die Balance zwischen Wettbewerb bzw. Marktwirtschaft und sozialer Absicherung noch gewährleistet ist. Meine Antwort ist Nein. Wettbewerb wird zwar wie in den Lissabonner Zielen als wünschenswert bezeichnet, aber an der Umsetzung mangelt es dramatisch. Ich verwiese hierbei auf den letztlich sinnentleerten Kompromiss der Übernahmerichtlinie, das immer noch nicht Wirklichkeit gewordene Gemeinschaftspatent, das Umsetzungsdefizit, dem gerade auch Deutschland deutlich hinterherhinkt, die immer wieder geforderte und nun wohl leider auf den Weg gebrachte Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakt, sowie den teils unerträglichen politischen Druck bei komplexen Vertragsverletzungsverfahren anstelle einer Korrektur der EU-rechtswidrigen Vorschriften.

Der zukünftige Erfolg der EU als Wirtschaftsmacht, als derzeit schon weltgrößter Binnenmarkt, aber auch die Eingliederung der gerade neu aufgenommenen 10 Mitgliedsstaaten wird entscheidend davon abhängen, dass wir auf den Pfad der Tugend zurückkehren.

Die gelegentlich kritisierte Globalisierung wird sich nicht aufhalten lassen. Es gibt keine Inseln der Glückseligen mehr, wenn es diese überhaupt jemals gab.

Und bitte, meine Damen und Herren, ganz simpel ausgedrückt: Geiz ist geil, wie es allenthalben in Deutschland Mode zu sein scheint, ist nur wegen Wettbewerb und Globalisierung möglich! Inseln der Glückseligkeit und damit Abschottung gegen Globalisierung gibt es nicht mehr, ich bezweifele auch, ob es dies je gab.

Deshalb ist meine Antwort auf die eingangs gestellte rhetorische Frage, ob der Binnenmarkt überhaupt noch gebraucht wird, dass das Konzept von Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalfreiheit die einzige Antwort auf die Globalisierung ist.

China ist gerade erst am Anfang eines Aufholprozesses, der Europa noch vor ganz neue Herausforderungen stellen wird. Es gilt jetzt die so global gewordene Wirtschaftswelt aktiv zu gestalten. Das kann aber nicht heißen, immer mehr Restriktionen aufzubauen. Ich füge durchaus selbstkritisch an, dass heißt auch weniger Regulierung aus Brüssel in Bereichen, wo die Mitgliedsstaaten besser wissen, was getan werden muss.

Europa muss zu aller Erst den fairen Wettbewerb fördern. Dazu braucht es die bereits auf den Weg gebrachten Rahmenregelungen, die es nun gilt, in der Wirklichkeit anzuwenden. Es müssen aber dringend die noch ausstehenden Puzzlestücke eingefügt werden, die ich bereits genannt habe.

    5. Steuerharmonisierung

Kann dieser Binnenmarkt ohne Steuerharmonisierung funktionieren? Auf diese sehr hitzig diskutierte Frage ist meine klare Antwort: aber natürlich! Erstens hat bisher niemand schlüssig erklären können, worin das Steuerdumping jener Länder liegen soll, denen es vorgeworfen wird.

Zweitens wird es vermutlich unmöglich sein, einen gerechten und ökonomisch vernünftigen Mindeststeuersatz zu definieren. Drittens möchte sicher auch Herr Eichel nicht, dass Brüssel die Zusammensetzung des deutschen Steueraufkommens reguliert und viertens haben einige der Beitrittsländer bewiesen, dass sie bei einer Absenkung der Unternehmenssteuersätze nominal und gleichzeitiger Abschaffung vieler Ausnahmetatbeständen effektiv mehr Steuern eingenommen haben.

Was aber gebraucht wird, ist eine wesentlich bessere Abstimmung im Bereich der indirekten Steuern, da dies unmittelbare Auswirkungen auf die Warenflüsse hat. Und natürlich zwecks Transparenz für Investoren eine gemeinsame Steuerbasis, aber sicher keine einheitlichen Unternehmenssteuersätze.

Meine Damen und Herren, ich werde immer noch von der Vision geleitet und habe so die vergangenen 5 Jahren Politik gemacht, dass nur funktionierender Wettbewerb unserer europäischen Wirtschaft helfen kann, aus der Talsohle zu kommen. Vielleicht kann es dann auch noch gelingen, den Abstand zu den USA zu verringern, so wie in Lissabon von allen unterschrieben. Lippenbekenntnisse alleine helfen aber nicht. Oder wie US Präsident Herbert Hoover feststellte: "Economic depression cannot be cured by legislative action or executive pronouncement. Economic wounds must be healed by action of the cells of the economic body".

    6. Stagnation

Tut sich Deutschland nun besonders schwer mit diesem Anpassungsprozess? Gelegentlich drängt sich einem der Eindruck geradezu auf.

Wie der Philosoph Peter Sloterdijk vor kurzem im Spiegel sagte: ,Lasst uns die Mechanismen untersuchen, derentwegen eine der materiell und mental reichsten Nationen aller Zeiten einer permanenten verdrießlichen Selbstagitation zum Opfer fällt."

Mit Interesse habe ich in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Michael Hüther, Direktor des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, gelesen, welche die Frankfurter Allgemeine Zeitung Anfang August veröffentlichte. Er spricht dabei über die Überdehnung des Vorsorgeprinzips und untermauert damit die Analyse, die ich eingangs kritisch angemerkt habe. Betroffen gemacht hat mich allerdings seine Aussage, dass Deutschland von einem tief sitzenden Marktpessimismus gekennzeichnet sei und er führt dazu die Diskussion um die Ausbildungsplatzabgabe an.

Ohne diese in allen Details verfolgt zu haben, suggeriert dieses Wort alleine sicherlich nicht den Grundgedanken der Marktwirtschaft, Freiräume für Soziales zu schaffen. Kritiker werden mir nun entgegen halten: was aber tun, wenn der Markt versagt?

Denen muss ich schlicht entgegnen, nicht der Markt versagt sondern die Rahmenregeln sind nicht mehr zeitgemäß, wenn sich der Marktteilnehmer scheinbar nicht mehr regelkonform verhalten. Wenn im genannten Fall nicht mehr genügend Ausbildungsplätze durch die Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, dann ist dies ein Zeichen für die Unattraktivität dieser wirtschaftlichen Betätigung von Unternehmen. Ausbildungsplätze vorzuhalten ist nämlich keine Wohltat sondern Ausdruck wirtschaftlichen Interesses an qualifizierten zukünftigen Arbeitskräften. Wenn diese Notwendigkeit aber nicht mehr gesehen wird, kann man sie nicht erzwingen. Vielmehr müsste der Markt durch Veränderung der Rahmenregeln stimuliert werden, es wieder als attraktiv anzusehen, junge Menschen auszubilden.

Dabei sind dann viele Interdependenzen zwischen Arbeitsmarktpolitik, Steuerpolitik und Sozialsystemen zu bedenken. Ein umfassender Reformansatz ist daher unerlässlich, wie es auch der bereits genannte Michael Hüther sieht. Ich möchte anfügen, dass es dabei wenig hilft, die Debatte zunächst damit zu beginnen, die Veränderungen zu beklagen, anderen vorzuwerfen, sie nutzten den Wettbewerb zu ihren Gunsten aus und darüber nachzudenken, wie man den Wettbewerb begrenzen könnte. Lassen Sie mich anfügen, dass heute selbst die schärfsten Kritiker des von Bill Clinton auf den Weg gebrachten Welfare Reform Act erkennen, dass die Kombination aus radikaler Begrenzung von Sozialleistung, Eigenverantwortung der Bundesstaaten sowie Anreizen zur Aufnahme jedweder Arbeit nicht zur befürchteten Verarmung der US Bevölkerung geführt hat.

    7. Europäische Integration

Was, meine Damen und Herren bedeutet das für die europäische Integration?

Integration der EU wurde in der Vergangenheit immer von der wirtschaftlichen Kooperation getragen und weiterentwickelt. Auch die Verflechtung der 10 neuen Länder ist ohne wirtschaftliche Integration nicht möglich.

Neben der Frage, wie wir mit der politischen Union in einer Gemeinschaft von derzeit 25 Ländern und zukünftig vielleicht 30 oder mehr umgehen, ist aus meiner Sicht ganz deutlich, dass dieser Prozess der vollständigen Integration der neuen Mitgliedsstaaten noch viel Zeit braucht. Deshalb warne ich deutlich vor einer Überdehnung der Aufnahmekapazität der Union.

Mit Recht begrenzt die Europäische Union die Finanzmittel, die ein Land absorbieren kann, wenn es sich strukturellen Veränderungen unterzieht. Genauso sollte sich die Europäische Union eine Selbstbeschränkung zumindest für eine gewisse Zeit auferlegen, bevor man beurteilt, ob man bereits reif genug ist, weitere Länder aufzunehmen. Wir sollten nicht den gleichen Fehler begehen, dem sich die Donaumonarchie ausgesetzt sah, nämlich einer Ausbreitung, die letztlich die Integrationsfähigkeit überlagerte. Denn dann kommt es unweigerlich zu einer Umkehrung dessen, was wir uns mit der Erweiterung auf die Fahne geschrieben haben. Wenn eine solch ungehemmte Erweiterung fortschreiten sollte, werden wir nicht Stabilität exportieren sondern Instabilität importieren.

Die heutige Legitimitätsdebatte ist doch nur Ausdruck der Sorge, dass Europa alles an sich reißt, ohne echte Analyse des Mehrwerts. Natürlich betreffen jeden Einzelnen die Fragen nach sozialer Sicherheit und es gibt durchaus europäische Fragestellungen bei der Ausgestaltung von Arbeitsmarktregeln. Müssen, ja dürfen diese aber über Benchmarking hinausgehen, ohne die Subsidiarität zu verletzten, die wir alle unterschrieben haben? Wird europäische Industriepolitik nicht inkohärent, wenn sie einerseits mehr Wettbewerbsfähigkeit fordert, aber andererseits in Bereichen wie Umweltschutz oder Verbraucherangelegenheiten immer mehr Eingriffe vornimmt? Hatte Deutschland also Recht mit der Forderung nach einem Superkommissar?

Nein, und der zukünftige Präsident ist auf diese auch nicht eingegangen. Er hat das getan, was eventuell helfen kann, nämlich die Koordination zur Chefsache gemacht. Aber ohne die Mitarbeit der Mitgliedsstaaten wird daraus nichts. Wie kann es angehen, dass Deutschland die Chemikalienpolitik heftig kritisiert, aber zustimmt, dass das Thema exklusiv im Umweltrat beraten wird und nicht einmal der Wettbewerbsfähigkeitsrat ein Wort, ich würde sagen, ein entscheidendes mitreden kann.

    8. Abschluss

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Abschluss kommen.

Ich glaube die Bilanz der Binnenmarktpolitik der 5 Jahre, in denen ich sie gestalten konnte, kann sich sehen lassen. Ich denke, dass ich reklamieren kann, größtmögliche Kohärenz und faire Gleichbehandlung walten gelassen zu haben, auch wenn dass nicht von allen immer so gesehen wurde.

Die europäischen Finanzmärkte haben durch die Umsetzung des Finanzaktionsplans die notwendigen Rahmenbedingungen, sich dem internationalen Wettbewerb stellen zu können. Die Warenmärkte sind weitestgehend integriert und die Personenfreiheit ist nahezu zur Selbstverständlichkeit geworden.

Die USA erkennen uns als Partner in den transatlantischen Diskussionen an, auch wenn es immer mal wieder Versuche gibt, dem Reflex einer nervös reagierenden Demokratie nachzugeben und mit Schnellschüssen extraterritoriale Auswirkungen zu erzeugen, die Europa so nicht einfach hinnehmen kann.

Der Dienstleistungsmarkt als europäischer Wirtschaftsmotor bleibt unser Sorgenkind. Deshalb brauchen wir eine sachliche Diskussion über die Zukunft dieses Sektors. Kopf in den Sand stecken gilt bei diesem Thema ebenso wenig wie bei der Frage nach dem Umgang mit der Globalisierung. Aktiv begleiten ist immer besser als bedauernd festzustellen, wie schnell sich alles doch ändert. Es erstaunt mich daher immer wieder, dass Deutschland häufig hervorragende Analysen der wirtschaftlichen Veränderungen erstellt, aber diese Erkenntnisse scheinbar nicht in pragmatische Politik umzusetzen vermag. Ich bin versucht anzumerken, dass vielleicht die vielen Interessengruppen und Verbände ein Teil des Problems sind.

Ich halte abschließend fest, dass es keines erneuten Paradigmenwechsels in der Wirtschaft bedarf. Vielmehr Rückbesinnung auf die guten alten, ich darf anfügen liberalen Ideen von Wirtschaftspolitik, die den richtigen Rahmen für freie Marktwirtschaft setzt. Mit dieser Selbstbeschränkung, noch einmal, die durchaus auch für Brüssel gilt, werden dann auch wieder die Anreize für Sozialleistungen geschaffen, die wir derzeit zwangsweise erheben. Ob sich wirklich Unternehmen von französischen Steuererleichterungen bei Rückkehr in die Heimat, die viele Steuermilliarden verschlingen werden, anlocken lassen, darf bezweifelt werden. Besser wäre doch eine gute Analyse, warum Unternehmen abwandern und an der Wurzel des Problems zu agieren.

Dazu braucht es eine wirtschaftlich starke Europäische Union, die jedoch durch zu schnelle Erweiterungsschritte Gefahr läuft, zum Stillstand gezwungen zu werden und letztlich an seiner Größe zerbrechen könnte. Ich hoffe, wir erkennen dies noch früh genug!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.