Landwirtschaft und die Entwicklungsländer

maandag 22 september 2003, 15:55

Sehr geehrter Herr Präsident von NIGERIA,

Sehr geehrter Herr Ratspräsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Meine Damen und Herrn!

Dieses informelle Ratstreffen unter der italienischen Präsidentschaft ist vor allem von 4 Dingen wesentlich geprägt:

    Wir haben die Ehre und Freude eine Reihe von prominenten Gästen unter uns zu haben, die ich herzlichen begrüßen möchte, allen voran den Präsidenten der Republik Nigeria Herrn Olusegun Obasanjo.

    Zweitens dürfen wir schon seit Samstag die großzügige italienische Gastfreundschaft in einer Umgebung voller Schönheit, Tradition und Kultur genießen. Ein herzliches Dankeschön dafür dir Giovanni und deinen MitarbeiterInnen.

    Drittens ist es das spannende und hochaktuelle Thema, das die Präsidentschaft für dieses Treffen vorgeschlagen hat: Die Gemeinsamkeiten in den agrarpolitischen Zielsetzungen mit den Entwicklungsländern und der Europäischen Union.

    Viertens steht dieses Treffen im Schatten des Scheiterns des WTO-Gipfels in Cancun und der Frage wie es in der internationalen Handelspolitik weitergehen soll.

Das Arbeitsdokument des Vorsitzes greift bereits viele Themen auf, um die es in Zusammenhang mit der Globalisierung der Agrarmärkte im Spannungsfeld einer nachhaltigen Landwirtschaft und im Verhältnis zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern geht. Ich finde es vor allem sehr positiv, dass sich die Präsidentschaft in ihrem Bericht nicht darauf beschränkt hat Probleme und Defizite aufzulisten, sondern die gemeinsamen Werte und Interessen in den Mittelpunkt gestellt hat.

Dabei hat sie einen sehr umfassenden Ansatz gewählt, der weit über die Zuständigkeiten des Agrarrates, ja sogar der Europäischen Union hinausgeht.

Ich möchte mich in Bezug auf die Entwicklungspolitik in meinem Beitrag auf einige wenige Überlegungen im Rahmen meiner Zuständigkeit beschränken und dann auch noch auf die Entwicklungsperspektive im Rahmen der internationalen Handelsverhandlungen eingehen und auf die Notwendigkeit weiterhin einem multilateralen Ansatz den Vorrang einzuräumen.

Meine Damen und Herrn

Eine nachhaltige Entwicklung in ihren 3 Dimensionen ist für uns alle entscheidend. Ohne eine wettbewerbsfähige, Ressourcen und Umwelt schonende sowie sozial ausgewogene Landwirtschaft kann es nirgendwo auf der Welt eine positive landwirtschaftliche Entwicklung geben.

Darauf muss die Agrar- und Entwicklungspolitik setzen und daraus ergibt sich auch die große Bedeutung einer gezielten ländlichen Entwicklungspolitik. Das ist in der FAO längst anerkannt und auch beim Weltgipfel in Johannesburg klar zum Ausdruck gekommen.

Die Armut in vielen ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer und genauso das Vergreisen von immer breiteren Teilen der Landbevölkerung in den Industriestaaten ist ein vielschichtiges Problem.

Beides ist geprägt von im Vergleich zu den Städten niedrigen Einkommen, Ungleichheiten beim Zugang zu den Wachstumsmotoren - etwa zu Bildung und Entwicklung - durch Nachteile im Infrastrukturausbau und damit der Erreichbarkeit und durch eine nur geringe Diversifizierung von Wirtschaft und Dienstleistungen.

Um diesen Problemen gegenzusteuern hat die Europäische Union eine ländliche Entwicklungspolitik eingeführt, die im wesentlichen auf 6 Pfeilern aufgebaut ist. Es geht uns dabei um die Weiterentwicklung der für die ländlichen Räume typischen Produktionssektoren allen voran der Land- und Forstwirtschaft und der Verarbeitung. Es geht um soziale Fragen wie Gesundheitsdienste, Ausbildung und Erziehung. Es geht um Infrastrukturausbau aber auch um die Förderung von Handel. Und schließlich sind wir der Auffassung dass auch die Dezentralisierung und Governance eine wichtige Rolle bei der ländlichen Entwicklung zu spielen haben.

Was speziell die Entwicklungspolitik anbetrifft, so glauben wir, dass in die Armutsbekämpfung Fragen der Lebensmittelbereitstellung und ein nachhaltiges Management der natürlichen Ressourcen voranging miteinbezogen werden müssen.

Wenn es darum geht, wachsenden Handel für die ländlichen Regionen als Wachstumsmotor einzusetzen, gewinnen natürlich auch die Fragen des internationalen Handels enorm an Bedeutung. Das war eines der Hauptthemen des Johannesburggipfels und wurde den UN-Milleniums-Entwicklungszielen hinzugefügt.

Dieses Thema hat auch schon vorher in die Doha Entwicklungsagenda Eingang gefunden und zu einer Reihe von Projekten geführt, die helfen sollten, die notwendigen Kapazitäten für eine aktive Teilnahme in den WTO-Verhandlungen aufzubauen und technische Hilfen anzubieten. Die Europäische Union hat da bei weitem den größten Beitrag geleistet mit über 2 Mrd. € oder 48% der gesamten handelsbezogenen Hilfen in der Welt (2001-2002).

In derselben Weise bemühen wir uns auch Entwicklungsprojekte zu forcieren, die es möglich machen sollen, dass die Produzenten in den Entwicklungsländern von den wachsenden Märkten auch praktischen Nutzen ziehen können. Es geht dabei um das Erfüllen der internationalen Exportstandards aber auch um Forschung, Entwicklung und Promotion. Diese Maßnahmen sollen zugleich mithelfen von der bloßen Herstellung von Basisprodukten und agrarischen Rohstoffen wegzukommen und durch Verarbeitung in der Wertschöpfungskette weiter nach oben zu kommen. Zudem ist die Diversifizierung für jene Entwicklungsländer von größter Bedeutung, die bis jetzt von mehr oder weniger einem Produkt wie Zuckerrohr, Bananen, Kaffee oder Tee abhängen.

Wenn wir von Handelschancen reden, so dürfen wir allerdings auch den Handel zwischen den Entwicklungsländern nicht unberücksichtigt lassen. Experten sagen uns, dass der Nutzen einer Liberalisierung des Handels zu 80% dem Süd-Südhandel zu Gute kommen würde.

Meine Damen und Herrn!

Lassen Sie mich jetzt noch zum zweiten Thema:

,Wie geht es nach Cancun weiter?"

einige Anmerkungen machen:

Der negative Ausgang von Cancun da besteht für mich kein Zweifel schadet uns allen, den Entwicklungsländern wahrscheinlich sogar am meisten. Dies trifft auf jeden Fall auf die Gruppe (21) der Länder zu, die den Vorschlag von Herrn Perez del Castillo am massivsten abgelehnt haben.

Warum sage ich das? Weil das Paket, um das es in den Agrarverhandlungen geht, eine sinnvolle Reform des Agrarhandelsystems und der Agrarpolitiken bedeuten würde.

Eine Einigung über die Vorschläge hätte bedeutet: Drastische Kürzungen bei handelsverzerrenden Förderungen und somit Reformen der Agrarpolitiken dort, wo noch keine durchgeführt sind (z.B. USA);

  • Verstärkten Marktzugang für Produkte aus den Entwicklungsländern in den Industriestaaten;

  • Eine differenzierte und weniger strikte Disziplinierung für die Entwicklungsländer;

  • Der bei weitem größte Effekt eines positiven Ausgangs der Runde für die Entwicklungsländer würde in der Art der vorgeschlagenen weiteren Handelsliberalisierung bestehen.

Unsere Konzessionen an die Entwicklungsländer haben uns schon bisher zum größten Importeur von Agrargütern aus den Entwicklungsländern gemacht. Im Jahr 2002 haben wir Agrargüter im Wert von 35 Mrd. € aus den Entwicklungsländern importiert. Das ist mehr als die anderen Industriestaaten zusammen importieren.

Wir haben bereits entschieden unsere Agrarmärkte für die am wenigsten entwickelten Staaten zur Gänze liberalisiert. In Cancun haben wir gefordert, dass die anderen Industriestaaten hier gleich ziehen, ebenfalls EBA realisieren und zumindest 50% ihrer Importe aus Entwicklungsländern Zollfreistellen.

Wir sind auch bereit Tarifeskalationen zu disziplinieren, besondere Schutzklauseln für Entwicklungsländer vorzusehen und spezielle Produkte von besonderem Interesse für die Entwicklungsländer gesondert zu regeln.

Wenn es noch dazu möglich wäre, einen Unterschied zu machen zwischen den leichter verwundbaren ärmeren Entwicklungsländern und den z. T. sehr wettbewerbsstarken Nettoexporteuren unter ihnen, könnte man in der Besserbehandlung der ärmeren Staaten noch wesentlich weitergehen.

Ich weiß, dass das ein sensibles Thema ist. Aber es muss doch akzeptabel sein, dass sich der Entwicklungsstatus eines Landes auch verändern kann, ansonsten würde das ja eine Bankrotterklärung der gesamten Entwicklungspolitik bedeuten. Demzufolge ist es aber dann auch logisch eine gewisse Differenzierung je nach Entwicklungsstand zu haben.

Wie auch immer, vorläufig sind alle diese Chancen und Möglichkeiten auf dem Verhandlungstisch liegen geblieben. Wenn ich nach vorwärts blicke, so bleibe ich davon überzeugt, dass wir in der Europäischen Union, den ambitionierten Weg, den wir eingeschlagen haben, weiter fortsetzen müssen.

Wir bleiben unseren Reformen verpflichtet und werden auch den Dialog den wir begonnen haben über die kommenden Monate fortsetzen. Wir müssen allerdings sorgfältig analysieren und beurteilen wie wir die Mißerfolgsanfälligkeit von WTO-Verhandlungen reduzieren und die Erfolgschancen steigern können.

Aber am Ende des Tages muss klar sein, dass Verhandeln die Bereitschaft zum Kompromiss von allen Seiten miteinschließt und dass Lösungen nur zustande kommen, wenn sich alle Seiten aufeinander zu bewegen. Die EU hat große Schritte in die richtige Richtung unternommen, wir können daher zu Recht erwarten, dass andere sich auch auf uns zu bewegen.